Zur Aufgabe des Übersetzers bei Haruki Murakami

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(c) Grant Snider, https://www.incidentalcomics.com

Wenn ich mich für ein Buch entscheide, möchte ich bestenfalls das Original lesen, als Kompromiss (oder weil ich eben kein Japanisch bzw. Chinesisch spreche) nehme ich mit der Übersetzung vorlieb.

Bei Murakamis neuem Roman „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ bin ich unschlüssig: Lieber warten auf die englische Übersetzung, die erst im Sommer erscheint oder schon jetzt die deutsche lesen?

Um mich richtig entscheiden zu können, müsste ich eigentlich die Originalsprache des Romans beherrschen oder zumindest wissen, ob der Autor die Übersetzungen autorisiert hat.

Da Murakami selbst Werke aus dem Englischen ins Japanische übersetzt, kann man davon ausgehen, dass die Kommunikation mit seinem amerikanischen Übersetzer Philip Gabriel (der auch „Tsukuru Tazaki“ ins Amerikanische übersetzt) zumindest einfacher verläuft als mit der deutschen Übersetzerin Ursula Gräfe. (https://ajw.asahi.com/article/cool_japan/culture/AJ201305150070)

Kommunikation zwischen Autor und Übersetzer allein stellt aber noch kein Kriterium für eine gute oder schlechte Übersetzung dar.

Ein Beispiel dafür, wie indirekte Übersetzungen das Original zurichten können, ist Murakamis im Jahr 2000 ins Deutsche übersetzter Roman „Gefährliche Geliebte“.

Der Verlag hatte Murakamis Roman nämlich, wohl aus Rentabilitätsgründen, nicht aus dem japanischen Original, sondern aus der amerikanischen Fassung übersetzen lassen. Allen voran, und längst vor dem Zerwürfnis im „Literarischen Quartett“, operierte Gunhild Kübler in der schweizer Weltwoche vom 6. Juli schon mit dem erhellenden Begriff des „literarischen remake“ und der Philosoph und bekannte Liebhaber japanischer Literatur Ludger Lütkehaus forderte in der Neuen Zürcher Zeitung vom 12. August sogar eine Neuübersetzung. „Das ist ein Skandal,“ meinte schließlich Kolja Mensing, der sich am 11. Juli in der taz Murakamis Roman auf inspirierenden musikalischen Spuren genähert hatte, ein Befund, den ich selbst dann in meiner ausführlichen Übersetzungskritik (FAZ, 5.August) aufgrund eines Vergleichs der beiden Übersetzungen mit dem Original leider voll und ganz bestätigt fand. (https://www.aai.uni-hamburg.de/japan/Personal/docs/Worm/murakami.html)

Murakami selbst erklärt sich zwar einverstanden mit indirekten Übersetzungen, aber nur, solange sie die „Qualität und das Niveau des Originals“ wahren, was bei „Gefährliche Geliebte“ wohl kaum der Fall gewesen ist.

Dreizehn Jahre nach Erscheinen der deutschen Übersetzung aus dem Englischen hat Ursula Gräfe nun „Südlich der Grenze, westlich der Sonne“ (so der neue, direkt aus dem Japanischen übernommene Titel von „Gefährliche Geliebte“) aus dem Japanischen ins Deutsche übersetzt. Inhaltliche Unterschiede lassen sich klar erkennen. Hieß es in der indirekten Übersetzung noch „[…] es war eine Naturgewalt, es hat uns umgehauen“, so wird daraus nun in der direkten Übersetzung: „[…] dass es sich um eine rein physische Anziehung gehandelt habe.“

Wie ein Buch eines fremdsprachigen Autors übersetzt und auf den deutschen Markt gekommen ist, interessiert wohl nur wenige Leser, da allgemein angenommen wird, trotz Übersetzung „den Autor“ zu lesen, was bei Übersetzungen, selbst bei direkten, leider nie der Fall sein kann.

 

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